„The Voice of Germany“ als Live-Show

Raus aus dem Sofamodus

Fernseh-Lieblinge auf der Bühne bestaunen: Das ging in der Schleyerhalle beim »Voice of Germany«-Konzert

Möge der Beste gewinnen – eine Regel, die bei Casting-Shows im Fernsehen sicher nix zu suchen hat. Da gewinnt »das beste Paket«, also derjenige, der am nettesten aussieht, am formbarsten ist und für die Selbstvermarktung die größten Zugeständnisse macht. Und, ganz wichtig, der bei jungen Mädchen gut ankommt – denn das dürfte mit Abstand die größte Teilnehmergruppe bei den abzockerischen Telefon-Abstimmungen sein. Eine Ausnahme, wenn auch mit Abstrichen, ist »The Voice of Germany«. Da kommt es tatsächlich nur auf die Stimme an, zumindest am Anfang. Unfassbar – und vom Konzept her nicht durchgehalten. Leider: Die vor Weihnachten beendete dritte Staffel hat erneut gezeigt, dass nur diese »Blind Auditions« was Besonderes sind. In den Finalrunden folgt derselbe nervtötende Anruf-Zirkus und das elend überdehnte Warten auf Entscheidungen wie überall.

Wie viel Geld sich mit dem Projekt im weiteren Verlauf machen lässt, darüber entscheidet auch die Live-Tour: Die acht erfolgreichsten Teilnehmer tingeln nach dem TV-Finale durch Deutschlands größte Hallen und lassen sich dort von ihren Fans auf der Bühne für teures Eintrittsgeld beklatschen. Am Dienstagabend war dieses Wirklichkeit werdende Fernseh-Ereignis zu Gast in der Stuttgarter Schleyerhalle, die mit gut 3000 Gästen nicht wirklich gut besetzt war.

Und diese 3000 Fans kamen am Anfang nur schwer auf Touren: Schließlich konsumiert man „The Voice“ normalerweise ja von der Couch aus. Außerdem unterscheidet sich die Bühnenshow kaum von den Häppchen des TV-Formats: Die Jungstars werden mit kurzen Einspielfilmchen vorgestellt und singen bekannte Hits nach. Also saßen die Fans lange Zeit im Sofamodus herum – zurückgelehnt, nebenbei plaudernd und auf dem Smartphone rumdrückend.

Punkt 20 Uhr ging es los, die Zweit- bis Zehntplatzierten wechselten sich fleißig ab und zeigten durchaus unterschiedliche Qualitäten als Sänger, Entertainer, Hallen-Animateur oder Rampensau. Von naja über ordentlich bis berührend oder mitreißend war alles dabei. Und klare Spitzen: Ohne die Auftritte der glatzköpfigen, großflächig tätowierten Judith van Hel und des blonden Herzensbrechers Peer Richter hätte dem Abend viel gefehlt.

Allesamt waren die Nachwuchsmusiker mit einer äußerst mittelprächtigen Tontechnik geschlagen, die auch von der hochkarätigen Band nicht viel heil ließ. Ein bisschen Fremdschämen gab es obendrein, als die als Rock-Elfe vermarktete Thorunn Egilsdottir aus Island ihre Liebe zu schwäbischen Fahrzeugen bekannte und dann zu Sprechchören aufforderte: „Zuerst die Mädchen: Wir hier im Schwabenland. Dann die Jungs: …bauen die geilsten Autos!“

Der Mann, der den Unterschied macht, kam erst kurz vor zehn auf die Bühne – stämmig, klein, mit rotem Rauschebart, dicker Brille, Kapuzenpulli und wie immer ohne sichtbare Erfolge einer Stylistin: Andreas Kümmert. Der Erstplatzierte war bei den ersten Konzerten der Tour noch krank geschrieben gewesen, was laut Internet-Gerüchten sogar in Morddrohungen gegen ihn gipfelte. Die Stuttgarter aber hatten das Vergnügen. Kümmert sparte sich Schnickschnack und Floskeln und röhrte lieber mit Seele die großen alten Hits. Schnell wurde überdeutlich: Mehr braucht es auch nicht, wenn einer so singen kann. Dass diesmal wirklich der Beste gewonnen hat, ist ebenso verdient wie unerwartet. Vielleicht sind Casting-Shows doch nicht der Untergang des Abendlandes. Zumindest noch nicht diesmal.

Veröffentlicht wurde der Text im Reutlinger General-Anzeiger vom 10. Januar 2014 (Paywall).