Ein seltenes Oratorium: „Israel in Egypt“
Eine Hauptrolle für den Chor
Ein guter Griff: Der Chor der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) Tübingen feierte mit Händels »Israel in Egypt« sein 50-jähriges Bestehen
Werbung ist kein Phänomen der letzten hundert Jahre. Schon der Komponist Georg Friedrich Händel musste nach einem besonders umsatzschwachen Jahr 1738 dringend in eigener Sache trommeln – und schrieb binnen eines Monats das Oratorium »Israel in Egypt«. Dieses sonst selten aufgeführte Werk hat sich der Chor der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) Tübingen ausgesucht, um damit sein 50-jähriges Bestehen zu feiern. Ein guter Griff: Selten spielt der Chor derart die Hauptrolle wie bei Händels frühem Oratorium über Israels Auszug aus ägyptischer Sklaverei.
Um die hundert Köpfe zählt der KHG-Chor im Jubiläumsjahr, seit 1982 schon dirigiert Hartmut Dieter. Am Sonntagabend in der Tübinger Stiftskirche zeigte sich an vielen Stellen, wie gut Dieter mit den Seinen arbeitet. Astrein intonierend, gut artikulierend und als ein atmendes, mitschwingendes Ensemble präsentierte sich der Chor. Deutlich beweglicher, als solch große Ansammlungen von Laiensängern oft sind, und obendrein noch fähig, von einem Ton zum anderen eine gänzlich neue Dynamik und Stimmung aufzurufen. Berührend intensiv gelangen einige sehr leise Passagen. Zwar führte Händel den Chor manchmal an seine Grenzen – aber eben nicht darüber hinaus.
Mit von der Partie war das überaus verlässliche Stuttgarter Ensemble musica viva, das punktuell andere Tempo-Vorstellungen hatte, aber ein rundum stimmiges Fundament baute. Und mit seinen exzellenten Bläsern jene Akzente setzte, die Händel durchaus effekthascherisch eingebaut hatte.
Seltene, aber schöne Einsätze lieferte die junge fünfköpfige Solistenriege ab: Allen voran die junge Altistin Kora Pavelić, die ihre Partie mit großer Wärme und beachtlichem Volumen sang. Auch von Andreas Beinhauer, dem zweiten Bass neben Johannes Mooser, hätte man gern mehr gehört. Kleine Schwächen hatten Tenor Johannes Kaleschke bei der Artikulation – speziell in den Rezitativen hätte man gern mehr verstanden – sowie Sopranistin Karlīne Cīrule, deren mühelose Engelsstimme leider nicht immer sauber intoniert war. Dennoch gehörten die sehr ausgewogenen Duette zu den Höhepunkten des Musikabends.
Knappe zwei Stunden dauerte der vokale Ideenreichtum Händels mit seinen drei recht unterschiedlichen Teilen. Typischer Händel-Prunk mit viel Blech und Pauken wechselte sich ab mit ungewohnt tonmalerischen Abschnitten, speziell bei der Vertonung der sieben Plagen. Zum Schluss hin viel vertrackte Doppelchörigkeit – der KHG-Chor zeigte, was er nach 50 Jahren kann. Es gab lange anhaltenden, wohlverdienten Applaus.
Veröffentlicht wurde der Text im Reutlinger General-Anzeiger vom 4. Februar 2014 (Paywall).