Stelldichein der Casting-Juroren

 Aus Stuttgart wird Las Vegas

Xavier Naidoo, Rea Garvey, Sasha und Michael Mittermeier beim Geldverdienen in der Liederhalle

Man nehme eine Showtreppe. Ergänze eine Big Band plus ein paar Herren in Frack und Fliege, und fertig ist die Laube. Beziehungsweise ein Gala-Abend, den man als Hommage an das gute alte »Rat Pack« um Frank Sinatra, Dean Martin und Sammy Davis jr. verkaufen kann, am besten unter dem Titel: »Alive and Swingin’«. Seit Jahren zelebrieren vier deutsche Verkaufsschlager genau dies und touren zur Winterzeit durch Deutschlands große Hallen: Pop-Chamäleon Sasha alias Dick Brave, die oberbayerische Comedy-Kieksstimme Michael Mittermeier, der einst mit seiner Band Reamonn bekannt gewordene eingewanderte Ire Rea Garvey sowie der Gebetskreise ebenso wie Fußballstadien begeisternde Mannheimer Xavier Naidoo. Die beiden Letzteren sind derzeit ja an jedem Donnerstag- und Freitagabend in deutschen Wohnzimmern präsent als Juroren der Castingshow »The Voice of Germany«. Anspielungen hierauf? Mehr als genug.

„Ihr dürft nie vergessen: Heute Abend ist Stuttgart Las Vegas“, heizte Mittermeier das Publikum am Montagabend an. Runde zehn Minuten kalauerte er und ließ da schon ahnen, was einer der Schwachpunkte des Abends werden würde: deutlich zu viel Gequatsche, während die Herren am Bühnenrand an Barhockern lehnten und mit Whisky und Zigaretten hantierten.

Den zweiten Makel merkte man deutlich, als endlich gesungen wurde. Der Toningenieur ist offensichtlich kein ganz so guter Kumpel der vier Mannsbilder. Er ließ sie nach allen Regeln der Kunst absaufen im obligatorisch opulenten Klangteppich ihrer Bigband. Was leider bis zum Ende des Abends nicht viel besser wurde – im Internet finden sich Videos, bei denen man schauen kann, wie das Ganze hätte klingen können, wenn es denn geklungen hätte.

Zum Glück weiß man ja längst aus Funk und Fernsehen, wie sich die Stimmen dieser Herren anhören. Die überwiegend weibliche Zuhörerschaft zwischen 30 und 60 Jahren ließ sich ihren Mädelsabend denn auch nicht vermiesen, kreischte und jubelte dankbar über jeden Hüftschwung und  stürmte mehrfach zur Bühne – als wäre man bei den Chippendales.

Was man im Soundbrei zumindest ahnen konnte: Garvey war wohl sängerisch der Schwächste, Naidoo der technisch Versierteste, und Sasha bringt die wärmste, voluminösteste Stimme mit ein. Ihre musikalische Auswahl war weit mehr als Rat Pack: „I’ve got You under my Skin“ war dabei, „Ain’t that a kick in the Head”, auch „The Lady is a Tramp”. Bevor es als Zugabe „My Way“ gab, schweiften die Herren weiter aus. Mal intonierten sie wechselweise Hits ihrer Bühnenkollegen, dann gab es Parodien von Udo Lindenberg und Falco sowie ein Boygroup-Medley. Von ein paar humoristischen Tiefschlägen Mittermeiers abgesehen, war es insgesamt ein hoch solides Unterhaltungsprogramm. Um als Rat-Pack-Hommage durchzugehen, bräuchten die vier aber schon noch einen guten Coach.

Veröffentlicht wurde der Text im Reutlinger General-Anzeiger vom 7. November 2012 (Paywall).