Ed Sheeran als Ein-Mann-Inferno
Ein Mann, eine Gitarre
Ed Sheeran steht ganz allein auf der Bühne der Porsche-Arena. Und bringt die Halle dennoch gründlich zum Wackeln
Es gibt sie noch, diese unauffälligen Typen in Jeans und Shirt, die sich eine Gitarre umhängen, kurz räuspern – und dann binnen Sekunden eine verzauberte Musik-Insel schaffen. Einer von ihnen hat es jetzt geschafft: Nach Pubs und Fußgängerzonen bespielt der 23-jährige Brite Ed Sheeran heute die großen Bühnen. Er sammelt Preise, sein Album war auf Platz 1, seine aktuelle Europa-Tour ist ausverkauft. Auch in Stuttgart hätte man am Samstag die Tickets teuer weiterverkaufen können: Vor der Porsche-Arena harrte eine Traube leer ausgegangener Fans aus und sang Sheeran-Songs, während drinnen kurz nach 21 Uhr das Betontragwerk zu beben begann.
Mit satten Bässen, mehrstimmigem Gesang und rhythmischer Gitarrenwucht klang das Ganze bei geschlossenen Augen nach einer gut aufgelegten Band. Öffnete man die Augen wieder, stand da auf der Bühne, mutterseelenallein und winzig, der Rotschopf – und machte all die Sounds selbst. Sein einziger Mitspieler war eine Loop-Station, mit der er permanent eigene Musikschnipsel aufzeichnete und wieder abspielte, übereinanderlegte, neu mixte, all das nebenbei mit Fußkicks.
„Ein-Mann-Boygroup“ schrieb neulich jemand und hatte herzlich unrecht: Boygroups entstehen am Reißbrett, um Umsatz zu bringen. Aus glatten Typen, die mit Glück ein bisschen singen und tanzen können. Das einzig Gekünstelte an Songwriter Sheeran ist die Strubbelrichtung seiner Frisur.
Wobei, eine Parallele gibt es doch: Die Kreischquote ist bei Sheeran wirklich erheblich. Kaum stimmt er einen Song an, wird es richtig laut. Plüschtiere fliegen, während der leisen Songs werden Liebesbotschaften laut, und die Security-Bären tragen wahre Massen blassgrüner Teenager hinaus.
Die dann einiges verpasst haben. Einen, der den lockeren Hip-Hopper gibt, aber im Falsett große Gefühle beschwört. Der die Halle bis in die textsichere letzte Tribünenreihe zum Singen und Tanzen bringt. Der zwischen gefälligem Pop und pulsierendem R&B wechselt, sich in gläsernen Folk-Sound versenkt und dann wieder peitschende, wummernde Passagen zelebriert. Nicht nur bei „I See Fire“, dem Hit aus dem Hobbit-Soundtrack, entfesselt er ein Inferno. Mal singt ein ganzer Ed-Sheeran-Opernchor, mal lässt er den Musikteppich der Maschine weiterlaufen und rappt quer über die Bühne.
Zwischendurch lässt man nochmal verblüfft die Blicke schweifen. Doch. Die riesige Bühne ist noch immer leergefegt bis auf diesen Schlaks mit seinen paar Gitarrensaiten, seiner Stimme, seinen Loops. Ein ziemliches Ereignis, dieser 23-jährige Herr Sheeran, der alles alleine macht.
Veröffentlicht wurde der Text im Reutlinger General-Anzeiger vom 17. November 2014 (Paywall).