Jürgen von der Lippe und das Alter
Rock ’n‘ Rollator, yeah yeah yeah
Jürgen von der Lippe besuchte mit seinem noch sehr neuen Bühnenprogramm »So geht’s« das Theaterhaus
Das erste Hawaiihemd des Abends ist mit Kakadus und Palmwedeln bedruckt. Gegen später führt Jürgen von der Lippe noch großformatige Blumen vor. Soweit stimmt’s schon mal. Und wie sieht’s aus mit den knapp zweieinhalb Stunden Bühnenprogramm, die der 63-jährige Routinier ganz neu zusammengestellt hat? Erst seit wenigen Wochen ist er mit »So geht’s« unterwegs und will noch bis 2013 damit Hallen füllen. Die Idee scheint zeitgemäß: Als ebenso erfahrener wie ergrauender Witzemacher hat Jürgen von der Lippe den Abend als Comedy-Crashkurs für Senioren konzipiert.
Schließlich müssten die Älteren selbst dafür sorgen, dass es später im Altersheim mal lustig wird – die jüngere Generation stirbt ja aus. Das Crashkurs-Konzept bietet ihm die Gelegenheit, alle paar Minuten munter auf die Metaebene zu hüpfen und Grundregeln seines Handwerks zu erklären. Zum Altersheim-Paket gehören auch seine neue Bühnenfigur, ein fieser Greis, und der Song „Rock’n’Rollator“.
Der Crashkurs startet beim Einstieg. Dieser kann entweder den Komiker selbst thematisieren – oder sein Publikum. Von der Lippe rät zum Monolog über hervorstechende Merkmale am eigenen Körper: „Ich werde oft gefragt, Sie sehen so toll aus, haben Sie was an sich machen lassen?“ Na klar, sage er dann, Tränensäcke, Falten und Bauch, alles aufgespritzt.
Es folgt eine verbale Spritztour ins Optische. Von der Lippe beklagt das Schönheitsdiktat von Airlines beim Einstellen von Stewardessen. (A propos, wie nennt man eine hässliche Stewardess? Notrutsche.) Dieser Schönheitszwang habe so viele Menschen traurig gemacht, die sich in ihrer Jugend eine Zukunft als Stewardess erträumt hätten: Angela Merkel beispielsweise, die Perle der Uckermark, die habe deswegen ins Kanzleramt ausweichen müssen. Und bei Guido Westerwelle sei’s wohl ähnlich gelaufen.
Leute zum Schunkeln bringen, im Interview pfiffige Antworten geben und in der Kunstgattung Comedy die Wirklichkeit immer schlimmer hinstellen, als sie ist: So lehrt Von der Lippe seine mit ihm alternden Zuhörer im Crashkurs. Ach ja: „Sex ist auch ein Thema, um das Sie nicht drumrum kommen!“
Humor ist bekanntlich individuell. Zwei Grundbestandteile bei Von der Lippe sind intelligente Ironie und entspannte Zoten. Auch der Altherrenwitz kam jahrzehntelang gut an. Aber was, wenn der Typ da vorn tatsächlich langsam zum alten Herrn wird? Und was, wenn man die Grenzen der Ironie nicht mehr wirklich erkennen kann? Von der Lippe scheint was zu ahnen. Er greift während des Programms mehrfach präventiv Bildungsbürgertum und Feuilletonisten an – einfach für den Fall, dass sie seine Gags nicht verstehen.
So viel Niveauverlust muss man aber auch mögen. Wie bei der Szene beim Doktor, der die Prostata abtastet. Von der Lippe hätte nach der Untersuchung gern ein Kompliment gehört: „Sowas wie: Sie sind für mich das Rektum des Monats!“ Der Anmach-Spruch „Haben Sie Wasser in den Beinen? Meine Wünschelrute schlägt aus!“ ist nicht mehr ganz frisch, aber es gilt ja die Devise: „Wenn sie darüber lacht, weiß man, die ist n bisschen blöd, da geht was!“
Die laut lachende Mehrheit im Stuttgarter Theaterhaus hat er damit vermutlich nicht meinen wollen. Von der Lippe belohnt seine treuen Fans, indem er Klassiker einbaut, darunter seine Top-Parodien Peter Maffay, Helge Schneider und Udo Lindenberg. Auch Hochwürden, den mit den Määh-määh-Schäfchen im Hintergrund, und Rocker Kalle hat er wieder dabei.
Klar ist er noch immer besser als das Gros des Nachwuchses. Und selbstredend blitzen seine Bildung und sein Sprachschliff immer wieder durch. Großes Kino sind seine zugespitzten Pärchen-Konflikte und seine dadaistische Ader, die er in harmlose Liedchen packt. Vielleicht ist es mit dem neuen Programm ja auch wie mit dem sprichwörtlichen guten Wein, der noch reifen muss. Am 21. März 2012 kann man im Theaterhaus nochmal nachschauen, ob dieser Effekt schon eingesetzt hat.
Veröffentlicht wurde der Text im Reutlinger General-Anzeiger vom 29. November 2011 (Paywall).