The BossHoss geben sich knauserig
Nach eineinhalb Stunden ist Sense
The BossHoss gelten als Live-Kracher. Das hat sich in Balingen bestätigt. Blöd nur, wenn es mit Pfiffen endet
Yeee-haw! Der Balinger Marktplatz wurde am Freitagabend zur Partymeile für echte Kerle und für Frauen, die auf echte Kerle stehen: Cowboyhüte, massive Stiefel und karierte Baumwolle an allen Ecken. Offenbar war’s auch ein guter Termin, um mal die Tattoos genüsslich spazieren zu tragen. Zum Konzert von The BossHoss waren rund 5 000 Fans gekommen, die meisten von weiter her, der Marktplatz war längst ausverkauft. Und die Erwartung hoch: Erst vor wenigen Wochen hat die Berliner Band einen Preis bekommen. »The BossHoss gewinnen World Music Award als Best Live Act«, jubelte das Management im schönsten Denglisch. Zudem ist einer der beiden Bandköpfe, Sascha Vollmer, ursprünglich Schwabe von der Ostalb, das hätte ein feines Fast-Heimspiel werden können.
Fing auch gut an. Kurz nach acht dröhnten die ersten harten Beats dem Kirchturm entgegen. BossHoss stehen für guten Stampf, für bombastischen, reflexhafte Fußzuckungen auslösenden Sound. Dafür mischen sie simple, mitgrölbare Texte mit überschaubarem Tonumfang und unkomplizierten Harmonien. Das klingt schlimmer, als es ist: Denn diese Mischung kann wirklich Spaß machen.
Vollmer, der die meisten Songs schreibt und singend Gitarre spielt, hat mit Sänger Alec Völkel eine echte Rampensau an der Seite. Gemeinsam haben sie ihre Idee von der modernisierten Country-Musik satt ausstaffiert, eine tolle Band und eine veritable Bläser-Combo hinter sich gestellt und wissen überhaupt, wie man Knöpfe drückt bei den Leuten. Kein Wunder: Bevor die beiden als Cover-Band starteten und dann richtig bekannt wurden durch ihre Juroren-Jobs bei „The Voice of Germany“, haben sie als Grafiker Werbung gemacht.
„Ihr seht gut aus“, brüllt Alec Völkel in die Runde, „und ihr seid viele!“ Der Deal steht vom ersten Stück an, eigentlich stand er schon davor: Heute wird hier Party gemacht, auf dem ganzen Platz. Die Muster-Cowboys auf der Bühne zeigen im Zweifel, wie es geht. „Fäuste hoch!“ Und uh-uuh schreien! Männer gegen Frauen! An Fußball denken! „Das ist ja wie Rock am Ring hier!“ Der Bierkonsum der Band wird fast schon rituell in Artikeln erwähnt, inzwischen kann man sich auf der Homepage der Band das BossHoss-Bier bestellen, und in Balingen, wo Plastik-Maßkrüge mit einem Liter Volumen kursieren, zeigt sich Völkel angetan: „Alle mal diese dezenten Biergläser hoch!“
Eine knappe Stunde lang wird munter gerockt, ältere und neuere Songs durcheinander, sie klingen eh ähnlich. Balladen sind bei BossHoss selten, vermisst aber offensichtlich keiner. Obwohl der Sound ein bisschen matschig ist und speziell die markant tiefe Stimme von Alec Völkel nicht gut rüberkommt, wird bis in die letzten Reihen gefeiert, getanzt, geklatscht. Der Preis als gute Konzert-Band scheint verdient.
Völkel macht sich obenrum nackig und geht eine Runde zum Stage Diving, auch die kleinsten Frauen trippeln da auf Zehenspitzen. Es gibt starke Solos von den Schlagzeugern, auf der Kuhglocke und auch auf der Mundharmonika. Um 21 Uhr bequatschen die Herren ihr Publikum minutenlang: „Kniet euch hin! Los, hinknien!“ Irgendwann haben sie die meisten wirklich soweit. Zeit, kollektiv wieder aufzuspringen für den größten Hit: „Don’t Gimme That“ – es folgt der erste Abgang um 21.07 Uhr, da hat die Band gerade mal eine gute Stunde gespielt. Sie kommt noch einmal zurück, aber nur bis 21.34 Uhr, dann ist Sense. Die feierfreudigen Fans sind fast geschockt. Sie pfeifen viele Minuten, wollen einfach nicht gehen, hoffen noch. Die Stimmung ist im Eimer, Sympathien verloren. Jetzt, wo der Laden läuft, hat die halbschwäbische Band offenbar das Sparen für sich entdeckt. Wenn das mal nicht ins Auge geht.
Veröffentlicht wurde der Text im Reutlinger General-Anzeiger vom 30. Juni 2014 (Paywall).