Ina Müller im tiefen Süden

Sabbeln und Singen

Nordlicht Ina Müller kriegt in Stuttgart den Mund nicht zu

Deutscher Fernsehpreis 2008, Deutscher Comedypreis 2009, und ihre Fernsehshow »Inas Nacht« wurde vom NDR in die ARD übernommen: Bei Ina Müller ging es in jüngster Vergangenheit ziemlich Schlag auf Schlag. Der stets etwas rotzig daherschnoddernde Fernseh-Liebling von der Küste ist kein Geheimtipp mehr. Klar, dass die Mittvierzigerin für ihre Zweitkarriere als Solo-Sängerin mittlerweile auch im Süden die großen Säle bucht. Am Sonntagabend jubelten ihr knapp 2 000 Zuhörer in der Liederhalle zu.

„Das is’ ja mal puschelich hier!“ Der Mozartsaal der Stuttgarter Liederhalle ist halt etwas kleiner als die Bühnen, die Ina Müller gewohnt ist zu bespielen. Kein Wunder: Das norddeutsche Allroundtalent ist als schnodderige NDR-Moderatorin anderswo in der Republik bekannt wie ein bunter Hund. Und wenn sie plötzlich mit 40 noch anfägt, solo zu singen, dann sind in plattdeutschen Landen die Müller-Fans und Feuilletonisten ganz aus dem Häuschen.

Stuttgart ist im Vergleich dazu gelinde gesagt Diaspora. Dennoch war der Mozartsaal am Mittwochabend fast voll bei Ina Müllers Konzert „Weiblich. Ledig. 40.“. In den vorderen Reihen hatten Exil-Hanseaten sich zur stabilen Nordkurve zusammengetan. Sie standen beim Schlussapplaus auf – aber nicht nur sie.

Davor gabs gute zwei Stunden sanften deutschen Chansonpop vom Feinsten: Eine starke Stimme, vielseitig und präzise, oft wunderbar rauchig und intim. Begleitet von einem Trupp feinster Akustik-Musiker. Viel vom ersten Album, dazu ein paar Lieder auf Plattdeutsch, Coverversionen à la Eva Cassidy. Musikalisch wäre das genau das Richtige für einen Abend beim Kerzenschein – wären da nicht diese Texte. Die ziehen bitterböse her über Horst-Günther in Flip-Flops und andere Unzulänglichkeiten.

Aber eben nicht nur. „Ich ziehe aus, weil wir uns lieben“ ist so ehrlich, dass es manch routiniertes Paar ins Grübeln bringen könnte. „Würd gern wieder nach dir suchen, aber du bist ja immer da“, singt Müller. „Aus `du und ich` wird chronisch `wir’ – und das einzige, was offen bleibt, ist die Badezimmertür.“ Als ob das nicht schon authentisch genug wäre, plaudert Ina Müller zwischen den Songs. Tatsächlich wohnt ihr Lebensgefährte mittlerweile im Rheinland, und sie schwärmt von den Vorzügen des Wochenend-Glücks.

Das mit dem Plaudern ist vielleicht das Problem. Denn während der Songs erlebt man eine reflektierte Frau im schönsten Alter, die voll Klugkeit und Herzenswärme von großen Gefühlen singt – oft mit einem gekonnten Klacks Ironie, damit’s nicht pathetisch wird. Wunderbare Doppelbödigkeit. Doch kaum ist der Song vorbei, turnt Frau Müller wieder als Clown über die Bühne, grimassiert, foppt den Pressefotografen und parliert mit der ersten Reihe. Ihr Humor ist berüchtigt, damit verkuppelt sie im NDR  Bauern, und damit feierte sie als Kabarettistin Erfolge. Es gibt viel zu lachen beim Ina-Müller-Konzert. Der doppelte Boden allerdings, die Nachdenklichkeit aus dem Liebeslied, das geht verloren.

Veröffentlicht wurde der Text im Reutlinger General-Anzeiger vom 7. November 2009 (Paywall).