Zeitreise zu Paul Simon
Wenn Mama morgens anruft
»Still Crazy After All These Years« ist ein Liederabend über Paul Simon. Am Donnerstag hatte er Premiere im Theater Die Tonne
Sound of Silence. Bridge over troubled Water. Und natürlich Mrs. Robinson: Alles Welthits von Paul Simon. Wer kennt ihn nicht? Er war der kreative Kopf von Simon & Garfunkel. Aber Moment mal: Das Duo hat ja seit 1970 kein Album mit neuen Songs herausgebracht. Seither sind viereinhalb Jahrzehnte verstrichen, in denen Paul Simon munter solo musizierte. Wer kennt ihn eigentlich wirklich?
Ein Speed-Dating mit der Biografie und Musik dieses Mannes gab es am Donnerstag im Spitalhof. Im Theater Die Tonne war Premiere und Uraufführung von »Still Crazy After All These Years« – ein Liederabend von und mit Chrysi Taoussanis, Christian Dähn und Heiner Kondschak. Das Natursteingewölbe war ausverkauft, das gilt auch für die kommende Vorstellung. Tickets gibt es erst wieder für Ende Mai sowie für Gastspiele auswärts.
Taoussanis war und sang Paul Simon. Kondschak war selbstredend primär Kondschak, der Multiinstrumentalist, und schipperte ansonsten nonchalant durch die Rollen von Art Garfunkel, von diversen Partnerinnen und der stets morgens viel zu früh anrufenden Mutter von Paul Simon. Percussionist Dähn gab gelegentlich Stichworte und einen ziemlich fiesen Plattenboss.
Zusammengehäkelt war die Nummernrevue durch ihre kleinen Dialoge und Telefonate. Sie zeigten Paul Simon als einen eher unglücklichen Grantler, der mit seiner Körpergröße von 1,57 Metern ebenso dauerhaderte wie mit Jugendfreund Art Garfunkel, mit Bob Dylan und den Beatles, mit zu wenig Anerkennung, zu viel Nähe oder zu viel Einsamkeit. Alles mit flinkem Strich hingeworfene Skizzen, entlang der Fakten liebevoll zugespitzt – kein Biografie-Ersatz, aber eine gelungene Karikatur. Mit schönen Lachern drin: So war die berühmte Textzeile „Lei-la-lei“ schlicht bedeutungslos und eine Schreibblockade. Und Paul Simons Mama wollte lange nur das Eine: dass der Bub endlich wieder an die Uni geht.
Damit die geschätzten Zuschauer alle Zeitsprünge mitbekamen und Simons Biografie einordnen konnten ins Weltgeschehen, prasselten Fakten ins Gespräch: Jahres- und Kinderzahlen, Grammy-Gewinn und Kennedy-Mord, Klu-Klux-Klan und Apartheid.
Der zweiteilige Abend verweilte lange im beliebten Repertoire des Duos Simon & Garfunkel. America, I am a Rock, Scarborough Fair, Kathy‘s Song und die Welthits hört man einfach immer gern. Weniger vertraut war dann das, was die drei Musiktheatermacher ihrem Publikum vom älteren Paul Simon vorspielten: Rene and Georgette Magritte with their Dog after the War – schon mal gehört? Diamonds on the Soles of her Shoes, Mississippi Delta, Father and Daughter. Spätestens da trennen sich Kenner und SWR1-Stammhörer.
Verwechslungsgefahr mit den Originalen kam keine auf: Das Trio hatte sich eigene Interpretationen erarbeitet, passend zur Besetzung. Stimmlich trug das über weite Strecken Chrysi Taoussanis alleine, die am Premierentag ihren 35. Geburtstag hatte. Sich und dem begeisterten Publikum schenkte sie etliche traumschöne Passagen. Gänsehautverdächtig waren vor allem ihre leisen Töne und gläserne Höhen.
Texte deklamierte sie sehr bewusst und hellhörig machend, schließlich ist sie zuallererst Schauspielerin. Vielleicht war davon anfangs etwas zu viel, vielleicht hätte sie sich da noch mehr der Musik anvertrauen können, anstatt den einst engelszart dahergebrachten Strophen interpretatorisch eins draufzusetzen.
Kondschak jonglierte munter und souverän Saiteninstrumente. Dähn verzauberte mit singender Säge und Elektro-Vibrafon, seine wenigen echten Schlagzeug-Einsätze sprengten Kellerraum und Ensemble aber ziemlich. Als Trio hatten sie ansteckend viel Freude an ihrem Projekt. Prädikat: Kennenlernen!
Veröffentlicht wurde der Text im Reutlinger General-Anzeiger vom 5. März 2016 (Paywall).