Annett Louisan im Schlosshof Tübingen
Wechseljahre einer Königin
Huch: Die mädchenhafte Annett Louisan ist auch schon alt genug für eine Jubiläumstournee!
Es war ein Konzertabend wie aus dem Bilderbuch. Der Tübinger Schlosshof war am Donnerstagabend eine Traumkulisse. Die Stuhlreihen voller freu-freudiger Fans, wohlig dank Weinschorle oder Funktionsjacke. Kurz nach sieben dann die ersten sanften Klänge von Klavier, Geige, Akustik-Gitarre. Da lehnt man sich erst mal zurück, lässt den Blick schweifen, summt leise mit und genießt.
Wir erinnern uns: 2004 hat Annett Louisan die Frauenwelt spontan entzweit mit ihrem Trällerchanson »Das Spiel«. Jenem ersten und bislang auch einzigen Hit, der so ironisch-kokett mit Frauenbildern umsprang.
Das zugehörige Erstlings-Album »Bohème« findet sich bis heute in den CD-Regalen vieler Tübinger und vor allem Tübingerinnen plusminus 60 Jahre.
Textsicheres Mitsing-Event
Was den Donnerstagabend im Schlosshof zu einem textsicheren Mitsing-Event machte. Hier wurde ja auch ein Wiederhören gefeiert: Frau Louisan mitsamt ihrer ewig mädchenhaften Stimme ist mittlerweile knapp 50 und somit tatsächlich alt genug, um mit einer Album-Jubiläumstournee durch die Lande zu reisen.
20 Jahre »Bohème« werden zelebriert. Die erste kurze Hälfte des insgesamt nicht langen Konzerts gehörte fast ausnahmslos dem Erstlingswerk und seinen damals noch von Frank Ramond routinert keck getexteten Chansons. »Das Spiel« kam als elftes Stück kurz vor der Pause. Die Konzertgäste: textsicher.
Für die zweite Hälfte ihres Konzerts hatte Louisan eine Art »Best-of« der jüngeren Alben vorbereitet. Die haben nicht mehr alle Fans im Schrank und im Textgedächtnis, aber man hörte gern zu. Auch, weil die neueren Sachen persönlicher sind und dadurch echter – kein Wunder, die Musikerin schreibt Lieder nun selbst.
Ihre Themen sind, wie sie selbst und ihr Publikum, älter geworden. Da geht es um nachlassende Romantik längerer Partnerschaften, um nachlassendes Gedächtnis, ums Kinderzubettbringen oder anstrengende Verwandtschaft. Auf »wir sind verwandt« reimt sich nicht nur »mit dem Messer in der Hand« oder »die Pistolen sind gespannt«, sondern auch »mit dem Rücken an der Wand«. Ihr Kommentar zum Wandel der Themen: »Die Wechseljahre sind etwas dramatischer als die 20er.«
Koketter Charme
Wer so sacht singt, braucht eine gute Technik mit viel Stütze, damit die Intonation passt. Das klappte genau genommen nicht immer, hat aber die wenigsten gestört. Mit ihrem koketten Charme wickelt Annett Louisan ihre Gäste um den Finger, in beliebig vielen Umdrehungen. Von der Bühne aus oder auch durch den Schlosshof spazierend. Die Stimme, ihr Markenzeichen, ist zart und rein, sie verwendet sie mit klugen Nuancen. Für diesen Abend war sie eindeutig die Königin auf Schloss Hohentübingen.
Wirklich gut auch die mitgebrachten Musiker: Kai Fischer am Klavier, der schon seit vielen Jahren oft an ihrer Seite ist. Dazu der schottische Gitarrist Martin Kelly, wohlgemerkt nicht verwandt mit der Kelly-Family, und die aus Tübingen stammende Geigerin Liv Solveig, die sehr schön Background sang und beim Verwandtschafts-Song in die zweite Reihe lächelte.
Tanzen, Singen, Küssen
Die anfangs noch nette Brise frischte im Lauf des Konzerts fies auf – Seglerwetter statt Schlosshofwetter. Manch daheim liegende warme Jacke wurde schmerzlich vermisst. Trotzdem oder deswegen ließ man sich beim Schlussapplaus nicht lumpen: Das Publikum sprang auf. Und wollte nach den Standing Ovations gar nicht mehr hinsitzen. Zu den Zugaben wurde getanzt, gesungen, geküsst. Diese Musik macht offenbar glücklich.
Veröffentlicht wurde der Text am 1. August 2025 im Reutlinger General-Anzeiger (Paywall).
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