Chris de Burgh und die Frauen
Mehr als rot
Chris de Burgh kriegt mit 66 Jahren und gefälligen Songs die Liederhalle gleich zweimal voll. Und erweist sich als profunder Songwriter und Geschichtenerzähler
Ah, da sind sie schon. Hübsch hergerichtete Damen im Vorruhestandsalter, die feuerrote Satinblusen tragen. Selbst schuld, Mister de Burgh. Sie mussten mit ihrem Schmachtgeträller über eine »Lady in Red« ja unbedingt Millionen verdienen. Das nehmen die Verehrerinnen natürlich persönlich. In der fast ausverkauften Stuttgarter Liederhalle war Rot am Montagabend eine ziemlich simple Botschaft – und am Dienstagabend, als der Beethovensaal erneut fast ausverkauft war, sah es sicher kaum anders aus. Dabei ist das reichlich gemein, den armen Iren ständig auf dieses Liedchen zu reduzieren.
Gut, erschwerend kommt hinzu, dass der 66-Jährige in den vergangenen Jahren einen deutlichen Hang zu weichgespülter Musik in einschlägigen deutschen Fernsehsendungen zur Schau getragen hat. Aber der Mann hat wirklich mehr geleistet. Und damit sei nur am Rande auf seine haltbare Ehe und die bildschöne Tochter Rosanna verwiesen, die 2003 die Titel „Miss Ireland“ und „Miss World“ gewann.
Chris de Burgh, Diplomatensohn und von einem irisch-normannischen Adelsgeschlecht abstammend, ein in der Wolle gefärbter Gentleman, gehört tatsächlich zu den großen Singer-Songwriter-Künstlern seiner Generation. Vor 41 Jahren brachte der das erste seiner 18 Studio-Alben heraus und kann aus rund 280 eigenhändig komponierten Songs wählen. Das tut er beim Stuttgarter Konzert sehr einfühlsam: Statt wie Kollegen mit dem kompletten Absingen eines fremdelnd-neuen Albums zu nerven, mischt er nur ausgesuchte Neu-Titel mit den von Fans ersehnten Alt-Hits. „Don’t pay the ferryman“ ist ebenso dabei wie „Spaceman“, Missing you“, „High on emotion“ und die unvermeidliche „Lady in red“.
Dass er in bester irischer Tradition ein leidenschaftlicher Geschichtenerzähler ist, der auf einigen Alben kleine Rockopern platzierte, daran erinnert er mit „The spanish train“ – jenem Song von 1975, in dem Teufel und Gott um Menschenleben pokern.
29 Stücke bringt er am Montag, fit und beweglich, die Stimme unvermindert kraftvoll und klar, alles solide. Und auch immer noch politisch: Im kriegskritischen Oldie „Borderline“ singt er unter Szenenapplaus „I will never know how men can see the wisdom in a war“. Ein neues Lied „The keeper of the keys“ handelt von Malala und dem Recht jedes Menschen auf Bildung und ein Leben in Würde. Es ist ihm ernst.
Leicht überirdisch ist, was sich zwischen Star und Fans abspielt. Er betritt die Bühne überpünktlich zu theatralischen Streicherklängen – und das Publikum rast bereits. Standing Ovations zur Begrüßung sieht man nicht jeden Tag. Während er die Frau in Rot besingt, spaziert er durch die ganze Halle, lässt sich anfassen, lächelt. Rollstuhlfahrern legt er seine Hände auf. Es wird geweint.
Man muss das Pathos nicht mögen, das seine Bühnen-Gesten und die Kitschvideos auf der Leinwand verkleistert. Und ja, da verdient jemand Geld mit breit ausgewalzten Gefühlen. Aber in einer sehr hohen Liga, authentisch und durchaus mit Würde. Respekt und alles Gute!
Veröffentlicht wurde der Text im Reutlinger General-Anzeiger vom 29. April 2015 (Paywall).