Oliver Messelberger fuhr mit dem Fahrrad durch neun Länder zur Hochzeit seiner Schwester
2965 Kilometer waren es von Pfullingen bis nach Ayvalık an der türkischen Mittelmeer-Küste. Oliver Messelberger aus Pfullingen hat diese Distanz mit seinem Fahrrad zurückgelegt – einem Fahrrad ohne Elektromotor. 19 Tage hat er dafür gebraucht. Das Ziel: die Hochzeit seiner Schwester.
Oliver Messelberger fährt viel Fahrrad. Auto hat der 25-Jährige gar keins. Zum Arbeitsplatz bei Wafios in Reutlingen pendelt er jeden Tag auf zwei Rädern. Urlaub macht er ebenfalls gern mit dem Rad: Elbe-Radweg und Rhein-Radweg sind bereits abgehakt, 2019 ist er einmal um die Ostsee herum gefahren. Als seine kleine Schwester zu ihrer Hochzeit in die Türkei einlud, lag es quasi nahe: Oliver fährt mit dem Rad dorthin. Im Sommer 2024 war das, Mitte Juli bis Anfang August war er unterwegs. Er kam zwei Tage zu früh an, vor dem Rest der Familie. „Ich hab erst mal mein Rad abgestellt und bin im Meer baden gegangen“, berichtet er.
Genau sowas mag er an seinen Rad-Reisen: spontan sein. Frei sein. Kein einziges Quartier hatte er vorab ausgesucht, keine Rast geplant, für kein Selfie vor einer Sehenswürdigkeit extra angehalten. Mittags lag er meist im Schatten eines Baumes und googelte, welche Campingplätze abends entlang der Route liegen. Oder er ließ sich von Einheimischen ein idyllisches Fleckchen am Ufer eines Bachs zeigen. Noch eine Freiheit: Unterwegs kann er immer so viel essen, wie er will, und nimmt trotzdem ein paar Kilo ab. Wenn er Lust hat auf zwei gute Hauptgerichte, bestellt er beide und verputzt sie mit Appetit. Zwei Desserts auf der Karte klingen lecker? Bitte alle beide!
Höhenmeter vermeiden lohnt sich
Meist hat er gezeltet, ein paar Mal in Pensionen geschlafen, manchmal auch unterm Sternenhimmel biwakiert. Vieles war schön, aber nicht alles: Ziemlich ungut fand er den vielen Müll, herumliegende Plastikflaschen, etwa ab der serbischen Grenze. Mit Straßenhunden, die seinem Rad hinterher laufen, hatte er zwar gerechnet, genervt haben sie trotzdem. Er hat keinen Tropfen Regen abbekommen, dafür aber Spitzentemperaturen um die 43 Grad am Fahrradnavi gemessen. Wenn man sich gekühlte Getränke kauft, kann man die Flaschen eine Weile in den Rücken-Taschen des Trikots herumfahren, als Kühlung. Aber nicht zu lang, sonst erfrischen sie nicht mehr beim Trinken.
In seinem Alltag ist Oliver Messelberger Mechatroniker. Das hat er bei Wafios erst gelernt, dann nach dem Reutlinger Modell studiert und Anfang 2024 mit einem Bachelor of Engineering abgeschlossen. Auch auf seine Fahrrad-Routen bereitet er sich gewissenhaft vor, das ist ihm wichtig. Er studiert intensiv Karten und weiß unterwegs manchmal auswendig, wo eine markante Abzweigung folgt – wie eine Donau-Überquerung oder Autobahn-Unterführung. Worauf er achtet: „Wenn ich Höhenmeter vermeiden kann durch einen kleinen Umweg, dann mache ich‘s auch. Höhenmeter kosten mich am meisten.“ Er nutzt ein Fahrrad-Navi, hinterlegt dort seine vorgeplanten Routen. Improvisieren muss er trotzdem, sooft Baustellen und Sperrungen die Planung zerschießen.
Fünf Mal Reifen flicken
Am 18. Juli morgens um sieben setzte er sich auf sein damals noch fast fabrikneues Jobrad, ein Specialized Gravel Bike. Zuallererst ging es die Alb rauf. Puh: Soll das nun 21 Tage lang so gehen, auch noch freiwillig? Doch schnell kam die Freude am Reisen auf. Sein Weg führte durch Österreich, die Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Nordmazedonien und Griechenland, bevor er die Türkei erreichte. Er fuhr die Eurovelo EV6 von Ulm bis hinter Belgrad, dann die EV11 bis hinter die griechische Grenze. Nahe der Mittelmeerküste erreichte er die Türkei. Die Dardanellen-Meerenge überquerte er mit einer Fähre, aber nur, weil Fahrräder die Brücke nicht befahren dürfen. Die ersten Tage begleitete ihn ein Großcousin, später lernte Oliver Messelberger einen Isländer kennen, einen Engländer, eine Schweizerin, sie wurden Rad-Partner auf Zeit. Meist war er allein. Regelmäßig postete er auf Instagram ein paar Fotos als Lebenszeichen (um nicht jeden Abend eine halbe Stunde Textnachrichten schreiben zu müssen).
155 Kilometer strampelte er pro Tag durchschnittlich. Einmal sogar 280 Kilometer, das allerletzte Stück, „da bin ich die Nacht durchgefahren, weil ich keinen Bock mehr hatte, mein Zelt nochmal aufzubauen“. Unterwegs ist er nie gestürzt und hatte auch keine schlimme Panne, was er beinahe bedauert: Er hätte gern den europaweiten Pannenservice getestet, der bei seinem Fahrrad-Leasing inklusive ist. Ersatzteile und Werkzeug hatte er dabei. Fünf Mal flickte er einen platten Reifen (nervigerweise vier Mal am selben Tag). Nach sandigen Etappen reinigte und ölte er abends die Kette. „Das geht im Sitzen, das ist ja schon Regeneration.“ Und machte mit Feuchttüchern Lenker und Fahrradgestell sauber.
Ayvalık liegt an der türkischen Ägäisküste. Er war natürlich der einzige Gast, der mit dem Fahrrad dorthin kam. Die übrige Familie und Freunde sind mit dem Flugzeug angereist. Aus Schwaben und auch aus London, wo das Brautpaar lebt und zuvor schon standesamtlich geheiratet hatte. Als die Familie am Ziel zusammensaß, jammerte seine große Schwester ein bisschen, wie anstrengend ihr dreistündiger Flug mit den Kindern gewesen sei. „Da habe ich sie angeguckt. Das hat sie dann schon verstanden.“
Das Hochzeits-Outfit brachte die Mutter
Für die Hochzeit hatten die Brautleute ein großes Restaurant an der Küste gemietet. Man feierte mit über 300 Gästen und Blick aufs Meer bis in den Morgen. Auch Oliver Messelberger genoss die Feier. In frischen Kleidern: Ein gutes Hemd, Hose und Schuhe hatte seine Mutter ihm mitgebracht, „das war ihr ganz wichtig“.
Wohin soll es als nächstes gehen? Ans Nordkap vielleicht, aber da müsste er mit anderen Wetterbedingungen planen, und drei Wochen Urlaub reichen dafür auch eher nicht. Er würde auch andere gern vom Fahrrad-Reisen überzeugen. Mehr Menschen sollten sich an mehrtägige Radtouren herantrauen, findet er. „Viele sagen zu mir: Oh, das klingt ja toll, sowas würde ich auch gern machen. Aaaber …“ Sein Rat: nicht immer „aaaber“ sagen, nicht hinter Ausreden verstecken, sich lieber was zutrauen: „Wenn man sich ein bisschen vorbereitet, kann wirklich fast jeder lange Strecken fahren!“
Veröffentlicht wurde der Text in der Wafois-Werkszeitung “Drahtsache” sowie am 2. Januar 2025 im Reutlinger General-Anzeiger (Paywall).