Wise Guys wahnsinnig wohlerzogen
Popcorn-Pop von netten Jungs
Die Wise Guys sangen a cappella für die ganze Familie. Und mit der ganzen Familie
Warum beginnen Pop-Konzerte neuerdings sonntags um 18 Uhr? Wer so fragt, ist neu bei den Wise Guys. Hundert Meter vor der Listhalle war alles klar. Denn die Wise Guys, laut Eigenmarketing Deutschlands bekannteste und beliebteste A-cappella-Band, haben eine sehr, sehr junge Fangemeinde. Die muss am Montag wieder zeitig in die Schule. Auch wenn sie am Sonntagabend schlotternd vor Aufregung zu ihren großen Idolen strebt. Und sich strikt weigert, im Parkhaus Mamas Hand zu nehmen, trotz großer fremder Stadt. Aber man ist doch als Fan hier und cool!
Später standen sie in den vorderen Reihen, ungezählte Grundschüler, und droschen auf ihre Luftgitarren ein. Mama wurde tapfer ignoriert, weil sie nebenan flippig und total peinlich mit den Hüften kreiste. Die etwas älteren Fans, die schon in weiterführende Schulen gehen, waren meist Mädchen, die händchenhaltend mit der aktuellen großen Liebe kamen. Schließlich machen die Wise Guys voll schöne Liebeslieder. Das muss auch ein 15-jähriger Lebensabschnittsgefährte zugeben, spätestens wenn er das vierte Mal sehr suggestiv gefragt wird.
Es gab Popcorn, die ganze Halle roch danach, überall knusperte es wie im Kino. Das war auch den fünf Herren auf der Bühne neu und etwas unheimlich. Von den Fünfen auf der Bühne sind drei miteinander zur Schule gegangen und singen seit Mitte der 80er-Jahre zusammen.
Musikalisch sind sie tadellos. Lupenreine Mehrstimmigkeit, schöne Soli und unermüdliches Beatboxing. Auf ihren Alben versammeln sie gefällige Stücke, durch die Bank selbst komponiert und arrangiert. Das verkauft sich bestens. Sympathisch sind sie außerdem. Typen von nebenan, die auch noch für Werte stehen. Sie spielen auf Kirchentagen und unterstützen Kinderhilfsprojekte. Alles ist einfach unglaublich nett. Wenn die Wise Guys jemand was richtig Böses wünschen, von wegen enttäuschte Liebe und so, klingt selbst das putzig: „Ich wünsch dich dahin, wo der Pfeffer wächst, wo die Knusperhexe hext, wo der Yeti wohnt.“
Ansonsten sind sie vor allem eines: Profis. Mit einer exakt choreografierten Bühnenshow, die sich samt Scherzchen jeden Abend wortgleich wiederholt. Mit einem TV-Shop-würdigen Eigenmarketing, bei dem man die aktuelle CD mehrfach ins Licht hält und vor der Pause auf den Merchandising-Stand aufmerksam macht. Die Szenen im Foyer waren nicht mehr ganz so nett, weil Papa einfach nicht einsah, wozu ein Wise-Guys-Badetuch gut sein soll.
„Klassenfahrt“ heißt das neue Album. Zwischen alten Hits kamen die neuen Songs bestens an. Der Rap „Hamlet“ ist eine nicht Klausur-taugliche Shakespeare-Zusammenfassung, hinreißend im „Yo man“-Gestus performt von Marc Sahr. Das Trostlied „Sorge dich nicht“ schippert im Fahrwasser des Carole-King-Klassikers „You’ve got a friend“. Schon zwischendurch hielt es viele nicht mehr auf ihren Sitzen. Spätestens bei den Zugaben stimmten alle aus voller Kehle mit ein. Mama, Papa, Kind und Kegel. So harmonisch kann Pop sein.
Veröffentlicht wurde der Text im Reutlinger General-Anzeiger vom 11. Mai 2010 (Paywall).