Der Bub zieht aus
Abschied in Wehmut: Das David-Orlowsky-Trio gastierte zum letzten Mal vor seiner Auflösung in der Stiftskirche
Am Freitag haben die Stocherkähne Trauer getragen. Zumindest musikalische Kähne. Denn das David Orlowsky Trio spielte in der Stiftskirche das Programm „Milestones“ und damit sein Tübinger Abschiedskonzert. Eine Ära ging zu Ende, nach 21 Jahren – weil die drei Musiker, allen voran Orlowsky selbst, was Neues machen wollen. Traurig für Fans, am traurigsten für Tübinger Fans.
Man schrieb noch das alte Jahrtausend, als der Tübinger Gymnasiast David erste Klezmer-Konzerte gab. Damals hatte ihn gerade Klezmer-Guru Giora Feidman entdeckt. Mitschülerinnen himmelten den jungen Klarinettisten an, die Eltern-Generation applaudierte gerührt.
An seiner Seite stand schon damals Florian Dohrmann am Bass, auch er ein Tübinger, auch für ihn war der Freitag ein Abschied. Er, Orlowsky und Gitarrist Jens-Uwe Popp zeigten sich gefasst. Profis halt: Sie haben mehrere Echo-Klassik-Preise bekommen, Konzerte und Festivals auf der ganzen Welt gespielt, Ukraine und Korea, Elbphilharmonie und Carnegie Hall. Orlowsky, heute 37, plauderte launig über Engagements bei Kreuzfahrten, über Klezmer, Spülmaschinen und jene Zeit vor über 20 Jahren, als er total stolz war, weil Dohrmann mit einem Golf von der Schule abholte. Und er dankte dem Tübinger Publikum für 20 Jahre Unterstützung.
Die betrübtesten Gesichter sah man im Publikum bei jener Eltern-Generation. Mimik, die man von Mamas und Papas kennt, wenn sie ganz stark zu sein versuchen, weil ihre Teenie-Tochter für ein Jahr ins Ausland geht. Oder weil der Bub auszieht. Grimmiger waren die Mienen derer, die draußen blieben, weil sie keine Tickets mehr ergattert hatten. Und derer, die nach 19.45 Uhr kamen, als es in der Kirche nur noch Plätze ohne Blick oder aber ohne guten Klang gab. Viele irrten lange umher: Für so einen Abschied braucht man doch einen guten Ort.
Dann wurde gelauscht, intensiv, liebevoll, mehr als zwei Stunden. Das Trio, das seinen Stil als „Kammerweltmusik“ bezeichnet und als „Speerspitze zeitgenössischer Klezmer-Musik“ vermarktet wird, hatte neue Kompositionen und Betagtes gemischt. Wo „Milestones“ draufstand, waren auch welche drin. Beispielsweise eine Komposition Dohrmanns vom zweiten Album (2001), neu interpretiert. Eine Reprise gab es auch für einige Stücke vom 2014 erschienenen Album „Klezmer Kings“, auf dem das Trio Stücke aus den 1920ern wiedererweckt hatte.
Das Finale: minutenlang Herzens-Applaus und Standing Ovations. Wohl unvermeidlich war die letzte Zugabe „Donna Donna“, die das junge Trio 1999 auf seine erste CD gepackt hatte. Bei diesem Klezmer-Evergreen summten die Gäste erst zart mit und klatschten dann etwas unzart, obwohl Orlowsky sich mit dem Finger auf den Lippen einen stillen letzten Abgang gewünscht hatte.
Von den ersten Tönen an war am Freitag klar: Hier verabschieden sich drei, die weder am Ende sind noch müde. Deren Musik sich wie ein Fluss windet, der aus immer neuen Quellen gespeist wird. Die im einen Moment ausgelassen Party feiern, kichernd, röhrend, rhythmisch getrieben – und die dann tief in Melancholie versinken, zart und poetisch werden, schmelzen. Abrupte Wechsel, große Momente.
Und immer wieder Orlowsky: Er ist ein unfassbar vollständiger Klarinettist, sein Klangspektrum wirkt unendlich. Er hat all die Technik und Fingerfertigkeit, die Luft und die Dynamik, das Verstehen und die Liebe. Man spürt, dass auf ihn noch vieles wartet. Auf Wiederhören!
Veröffentlicht wurde der Text am 13. Mai 2019 im Reutlinger General-Anzeiger (Paywall).