Vegane Kinderlieder
Christian Ehring inszeniert sich selbst als Gutmensch: urkomisch, aber nicht nur zum Lachen
Christian Ehring ist einer dieser Gentleman-Kabarettisten. Anzug, paar Lieder am Klavier und kaum Grimassen. „Keine weiteren Fragen“ heißt sein Programm, mit dem er Samstag zu Gast war im gut gefüllten franz.K beim Kleinkunstherbst. Die Fernsehkundschaft kennt ihn als etwas steifen Moderator der ARD-Satiresendung „extra3“ wie auch als häufigen Gast im Konkurrenzprodukt „heute show“ des ZDF. Und siehe da, auch im Fall Ehring übertrumpft der Echte den Flimmernden um Welten.
Slum für die Karriere
Rampensau ist er keine. Setzt sich erst mal grußlos an den Flügel, auf dass man sich warmlache bei einem Liedchen über Authentizität. Schmeichelt sich weiter ein über herzallerliebst banale gemeinsame Themen: Kinder haben. Babysitter beauftragen (aber eigentlich zu müde sein zum Weggehen). Ja, er ist ja auch Vater. Sein Sohn, just volljährig, breche bald auf zu einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einem Slum. Das hat der Vater organisiert: „Es ist nicht seine Kernkompetenz, Dinge von sich aus energisch voranzutreiben.“ Und so ein Slum mache sich ja gut später im Bewerbungsgespräch.
Den ganzen Abend über fügt er Puzzleteile hinzu: Dass Eltern während der Pubertät viel aushalten müssten, speziell Gestank. Wie der Sohn beim Umzug auf jenem Sofa liegend transportiert worden sei, das er nie verlasse. Als Studienfächer brachte Ehring „Vergleichende Konsolenwissenschaften“ und „Cannabiskunde“ ins Spiel. Alles lustig – und alles Teil eines geheimen Plots, der sich zwei Stunden später in voller Schönheit entfalten sollte.
Kinder mit Dinkelhintergrund
Auch die Dialoge mit der Ehefrau taugten, um Tränen zu lachen. Männer, Frauen, Pubertiere: Das geht humoristisch immer, Ehring ist hervorragend. Er streift Klimagipfel und #metoo, hat sich einen GEA hinlegen lassen, blättert und greift locker ein paar aktuelle Polit-Themen auf, er spielt vegane Kinderlieder wie „Tofu, Tofu ruft’s aus dem Wald“, er spöttelt über Yoga und Kinder mit Dinkelhintergrund, über Stadt- und Landleben.
Alltägliche Doppelmoral
Weite Strecken merkt man nicht, wie klug er sein Programm verwebt. Sein bestes Instrument: Er mimt in schönster Überzeugung einen Gutmenschen mit all seiner Doppelmoral. „Ich bin Grün-Wähler, so wie Sie!“ Er schwärmt vom neuen Stadthaus im Cappuccino-Belt und den akademischen Nachbarn. Klar, Gentrifizierung ist ein Problem, aber doch nicht bei ihnen, sie sind ja die Guten. Deswegen will die Gattin auch die demnächst vom Sohn geräumte Einliegerwohnung an einen Flüchtling vergeben. Er, der Gatte, findet die Idee toll – aber muss man sie wirklich umsetzen? Jetzt gleich? Warum nicht in zehn, 15 Jahren?
Dann liegen sie auf dem Tisch, all die Ausreden und Klischees, und man erkennt sie wieder. Weil Ehring stoisch an seiner Rolle festhält, gelingt ihm sein Kunstgriff, ohne je moralisierend oder missionarisch gewesen zu sein. Nachdem man einen ganzen Abend mit Ehring gelacht und sich identifiziert hat, dämmert es einem: Was bedeutet das nun? Wie viel Doppelmoral lebe ich selbst eigentlich, wie rede ich sie mir schön? Diesmal sind es nicht die anderen, über die man schmunzelt, die man kritisiert, sich distanziert.
Masken fallen
Christian Ehring serviert diese Einladung zur Selbsterkenntnis mit vielen schönen Lachern. Gegen Ende hat sein erdachter Sohn noch einen starken Auftritt: Falls Papa, der Kabarettist, ihn mal auf der Bühne erwähne, „mach aus mir bloß keinen kiffenden Computernerd!“ Die Masken fallen am Schluss, die Inszenierung bröselt, entlarvt sich selbst und jeden, der es zulässt. Die Erlöse aus Ehrings anschließendem CD-Verkauf gehen komplett in die Flüchtlingshilfe.
Veröffentlicht wurde der Text am 17. Dezember 2018 im Reutlinger General-Anzeiger (Paywall).