Grebe als Freiherr

Realität – welche denn?

Rainald Grebe steigt mit dem Lügenbaron Münchhausen tief ein in die Fragen von Sein und Schein

Wäre das, was Rainald Grebe macht, Sport, dann eine fantastische Fusion von Fußball, Fechten, Freestyle-Skiing, Feuerspeien und Halma. Kein Live-Auftritt dauert unter drei Stunden, man könnte zehn Stunden darüber erzählen. Seitdem der Endvierziger einen Schlaganfall überstanden hat, macht er noch weniger Gefangene.

Am Samstagabend war er im beinah vollen großen Saal des Theaterhauses mit dem neuen Soloprogramm „Das Münchhausenkonzert“. Vor 300 Jahren wurde der Lügenbaron geboren – idealer Aufhänger für eine Collage à la Grebe. Fakten, Fakten, Fakten? Nichts öder als das! „Hauptsache, die Geschichte ist gut erzählt.“ Kein guter Abend für den Zeitgeist.

Grebe kommt diesmal im Pseudo-Hermelinmantel aus Polyesterplüsch, Gucci-Kühlbox in der Hand, Lichterkette auf dem Haupt. „Was hast du gepostet?“ Dialoge mit Bühnentechniker Franz Schuhmacher bekommen mit jedem Programm mehr Raum. „Ich poste Bowls“, das wird der rote Faden, ein Slapstick-Faden. Bowls mit Superfood-Gekröse und hübsch liegenden Bananen.

Käsebrotbowl, Putzbowl, Nähbowl, Reichstagsbowl. Überall schöner Schein auf Instagram, überall Bowls. „Und das ist waaaaahr!“, röhrt er übers Programm der offiziellen Münchhausen-Feier und besingt den Titelhelden mit Kultlügen von Ulbricht bis Daum.

Danach zieht er die Kreise weiter, provisorisch verwebt. Wahre Erlebnisse als Gast beim Adel, die Wahrheit über Tournee-Alltag, echte Nostalgie beim Erinnern an Raucherabteile, wahrer Wohlstand. Frage ans Publikum: „Wie macht ihr denn das alles, SUV und Kreuzfahrt, habt ihr geerbt, Rubbellos, geht ihr anschaffen?“ Vielleicht wird ihm das ja alles nur vorgespielt. „Realität, welche denn?“

Ideen für fünf Abende

Was er dem Flügel entlockt und wie er singt, das hat man von ihm so ähnlich schon gehört. Dass das Programm noch krachfrisch ist, ahnt man stellenweise – egal, er wird es eh stetig verändern. Und die Ideen hätten wieder für fünf Abende gereicht.

Was hat seine Generation geleistet, außer Kaffeekapseln? Was ist ein Zirkus ohne Tiere? Stimmt es, was Karl May schrieb? (Nein.) Stimmt es, dass es in der DDR Indianerstämme gab? (Ja.) Er huldigt Hanns Dieter Hüsch und reist zum Mond, er lässt Münchhausen und Immanuel Kant diskutieren, er zeigt einen Scan seines geschädigten Gehirns (ist das seins?) und singt ein Auto-Tune-Massaker über Hildegard von Bingen (wahre Stimmlage, ach was).

Viele, viele fotomontierte Bowls, David Bowlie, Bowl McCartney, Stahlhelmbowl. Und was passiert, „wenn die AfD an die Macht kommt, kann ja sein, irgendwo da in Westpolen?“ Er entwirft ein Wochenprogramm fürs Dresdner Stadttheater, da kommt die Gänsehaut wie von selbst.

„Wenn ich sterbe, sing ich weiter als Hologramm“, verspricht er. Bitte Zeit lassen damit. Echt jetzt.

 

Veröffentlicht wurde der Text am 11. März 2020  im Reutlinger General-Anzeiger (nur Print).

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