Kuhns Hommagen

Die Schätzchen der Ikonen

Dieter Thomas Kuhn und seine Grave Chapel Radio Show hauchen feiner Musik von früher ihre Seele ein

Weihnachten ist Hauptsaison für Familienzusammenkünfte. Die schönen – und die anderen. Wenn nur alle so wären wie das, was in der Vorweihnachtswoche in einem Ex-Autohaus in Tübingen zu erleben ist! Dorthin laden Dieter Thomas Kuhn und Freunde seit einigen Jahren ein, um in Musik von einst zu schwelgen, in schönen Arrangements, mit Inbrunst dargeboten.

Ikonen stehen zuhauf auf dem Zettel: John Lennon, David Bowie, Bob Marley, Prince, Rio Reiser, Elvis, Charles Aznavour, Bee Gees, Amy Winehouse und Whitney Houston. Einziges Kriterium: tot. Also war nun auch Roxette dabei, „Neuzugang“ kommentiert die Kapelle lapidar.

„Songs from Above“ heißt das Projekt, die neunköpfige Combo nennt sich „The Grave Chapel Radio Show“. Psychedelischer Barock ist das Bühnenbild, Porträtbilder der verstorbenen Musiker werden zu jedem Song eingeblendet. Echte Kirchenbänke und Gesangbuch-Tafeln schaffen Gedenk-Flair. Was als Projekt im leerstehenden Tübinger Autohaus begann, füllt mittlerweile Locations in ganz Deutschland. Am Programm, drei Stunden Songs plus schöne Schnipsel, wird sacht weitergestrickt.

Nix gegen die Schlagerrituale, aber Profi-Nachsänger Kuhn kann hier viel mehr zeigen. Seine Mitmusiker erst recht: Kuhns Dauer-Mitstreiter Frank Stoeger an den Trommeln kriegt Szenenapplaus für jede Gesangs-Einlage, mit dem Tübinger Gitarrenbauer und Bluesmusiker Rudie Blazer möchte man mal auf ein Bier, und Pedal-Steel-Wunder Winfried Wohlbold nimmt einem mit seinen Soli glatt den Atem. Spätestens „Purple Rain“ bringt die Gänsehaut. Viel Schönes auch von den beiden Nicht-nur-Background-Damen Anya Mahnken und Marion Welch.

Das Autohaus ist rappelvoll. Das Publikum, eine gut gelaunte Ü50-Party, liebt diese quicklebendige Jukebox von der ersten bis zur letzten Note. Kategorie Feelgood. Mitsingen ist Ehrensache: Die Texte kommen flüssig, kein Wunder, hat ja damals das viel jüngere Gehirn aufgesaugt. Aber warum war dieser Abend so schnell vorbei? Und warum ist nur einmal im Jahr Weihnachten?

Veröffentlicht wurde der Text am 21. Dezember 2019 im Reutlinger General-Anzeiger (Paywall) (und ich kann nichts für das online verwendete suboptimale Archivbild).

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