Das Mehrgenerationenkonzert
„Immer noch nicht tot“: Phil Collins tourt durch die Stadien Europas und ließ sich in Stuttgart feiern
Puh. Durchatmen. Das ist er wirklich. Der Mann, der da am Stock geht, sich langsam Richtung Bühnenmitte vorarbeitet, ist Weltstar Phil Collins. Es ist ein Unterschied, ob man es weiß, dass dieser Musiker 68 Jahre alt ist und seit einer Wirbelsäulen-Operation zu kämpfen hat – oder ob man ihn selbst sieht. Dass er bestürzend gebrechlich wirkt, ist Collins klar. Kaum ist er vorn im Drehstuhl, spricht er es an: Er müsse meist sitzen. Aber man könne ja trotzdem ‘ne Menge Spaß haben, oder?
Da jubeln ihm am Mittwoch rund 38.000 Fans in der Stuttgarter Mercedes-Benz-Arena zu: Deal!
Zwischen 20 und 80
Diesen Deal haben die Schwaben beim deutschen Tour-Auftakt redlich eingehalten. Singende, tanzende Menschen zwischen 20 und 80 Jahren – sowas nennt man dann wohl Mehrgenerationenkonzert. Collins hatte fast ein halbes Jahrhundert Zeit, um Fans zu sammeln. Anno 1970 stieg er bei Genesis ein, trommelte und komponierte die Band zu Weltruhm. In den 1980ern und 90ern lieferte er solo einen Pop-Hit und Verkaufsrekord nach dem anderen. Im neuen Jahrtausend hörte man wenig Neues, aber immer wieder Revivals, solo und mit Genesis. Seit 2017 tourt er solo um die Welt. Die Tour hieß britisch-humorig erst „Not dead yet“, nun „Still not dead yet“.
Immer noch nicht tot also. Es hat aber auch nicht alles überlebt. Seine blechige Stimme ist unverwechselbar, doch die höchsten Töne fehlen. Hört man gleich bei „Against all odds“ mit der bekannten Refrain-Zeile „Take a look at me now“. Schlimmer: Sein Ausnahme-Talent als Schlagzeuger ist Geschichte. Umso mehr freut es die jubelnden Fans, dass sein Sohn, der 18-jährige Nicholas Collins, Papas alten Platz übernommen hat und die altehrwürdige Band souverän durch all die Hits führt. Er hat diesen Job bereits mit 16 angetreten.
Aus Duell wird Trio
Man staunt über seine Musikalität und freut sich an liebevollen Gesten zwischen Vater und Sohn. Über den kurzen Drücker nach ihrem Duett bei „You know what I mean“, Nicholas am Klavier. Über die Begeisterung, mit der Nicholas antritt zu einem gut zehnminütigen Percussion-Wettstreit mit einem Band-Kollegen, wie ihn früher sein Vater zelebrierte. Und auch, dass dieses mitreißende Duell als Trio endet und Phil Collins selbst ein paar Rhythmen beisteuert.
Würmer fürs Gehör
Der Rest ist Ohrwurm. „Another Day in Paradise“, „Billy Don’t Lose My Number“, „You Can’t Hurry Love“, „Easy Lover“. Hits schreiben kann der Mann. Sagenhafter Höhepunkt des Abends: „In the Air Tonight“, aus vielen tausend Kehlen in die heiße Sommernacht gesungen. Dazwischen ein paar Klassiker von Genesis: „Throwing it All Away“, „Follow You, Follow Me“ und „Invisible Touch“. Manches etwas langsamer als damals, aber trotzdem mit viel Wiederhörensfreude.
Eigentlich waren die Gehörgänge da schon total durchwurmt: Als Vorband hatte Collins seinen Genesis-Kollegen Mike Rutherford und dessen Zweitband „Mike & the Mechanics“ mitgebracht. Die hatten gern und gut ihre Hits serviert: „Living Years“, „All I Need is a Miracle“, „Over My Shoulder“. Wer das Stadion nicht trällernd verlassen hat, hat was falsch gemacht.
Veröffentlicht wurde der Text am 7. Juni 2019 in der Schwäbischen Zeitung sowie im Reutlinger General-Anzeiger (Paywall).