Der Außerfriesische in Reutlingen

Geboren, um zu blödeln

Otto Waalkes tourt mal wieder (Hollahitiii!) durch die Lande. 1500 Besucher lagen dem 65-jährigen Ostfriesen bei seinem Reutlinger Auftritt zu Füßen

Die Augen von Otto Waalkes glitzern, er badet im Applaus, und das Publikum ist völlig aus dem Häuschen. Es ist 20.08 Uhr, ein Abend in Reutlingen, und Otto hat die Bühne soeben betreten. Das kann ja heiter werden.
Bevor er auftritt, lässt er Infotexte über die Leinwand laufen, Verhaltensregeln von Wodka Gorbatschow bis Plumpsklow. Zur Begrüßung ein schlichtes Hollahitiii, das Publikum setzt ein wie der Bayreuther Festspielchor. Otto trägt eine geflügelte Kappe (15 Euro im Fanshop) und Fusselsträhnen, Schlabberhemd, drunter die zu weiten, zu kurzen Hosen eines Clowns. Oh ja, Otto ist wieder da.

Otto: „Ich bin natürlich in der Zwischenzeit ein bisschen älter geworden.“ Publikum: „Ooooch.“ Otto: „Aber noch topfit.“ Publikum: „Aaaaaah!“ Geographisch gut vorbereitet, brabbelt sich der Ostfriese durch Reutlinger Vororte und gesteht, dass er als Single mehr auf die Figur achte, „muss ja nicht die eigene sein“. Sein Timing ist brillant. „Alkohol gibt es nur noch an Wochentagen mit einem g“, sagt er und wartet genau die richtigen eineinhalb Sekunden, bis er nachschiebt: „Und mittwochs.“

Pointen haut er munter auf beiden Seiten der Gürtellinie hinaus. Aber nicht mal Frauen, die zwischendurch kurz das Gesicht verziehen, können lange schmollen. Sie müssen ja auch singen. „Marmor, Stein und Eisen bricht“, beispielsweise. Otto intoniert die erste Zeile, das Publikum den kompletten Rest. Bald reicht ein einziges Wort, und die 1500 Choristen setzen ein: „Waaaahnsinn…“. Hölle, Hölle, Hölle. Auch Otto schwelgt: „Langsam hab‘ ich das Gefühl, ich hätte hier den Eintritt bezahlen müssen.“

Die Lachdichte bleibt hoch. Oma nimmt jetzt die Pille, sie will keine Enkel mehr. Otto grimassiert seinen „Kleinen grünen Kaktus“ in eine sehr dichte Kamera hinein, geht pantomimisch auf Entenjagd und verschenkt Plüsch-Ottifanten an seine jüngsten Fans, von denen allerdings viel mehr angerannt kommen, als es Gratis-Ottifanten gibt. Enttäuschte Gesichter in der Pause.

Die zweite Hälfte gerät noch mehr zur Musikrevue, und das ist kein Schaden. Schließlich spielt Herr Waalkes äußerst passabel Gitarre, und seine Parodien sind gekonnt. Er lässt eine Horde Heino-Zombies auferstehen, dann „kooovert“ dieser Heino erst Rammstein und später ausgerechnet diesen Friesenjungen Otto. Natürlich zelebriert er auch das Hänsel-und-Gretel-verliefen-sich-im-Wald-Ritual, und alle spuken sie äußerst lebensnah über seine Bühne: Peter Maffay und Udo Lindenberg, die Toten Hosen („In Wäldern wie diesen“) und der unsägliche Gangnam.Style-Rapper. Plus ACDC: „Auf’m Heimweg wird’s hell“.

Weil Wiedersehen Freude macht, hat Otto seine Alter Egos dabei. Der Leuchtturm am rechten Bühnenrand wird zum Puppentheater,  wo Faultier Sid aufkreuzt, dem Otto in den „Ice Age“-Trickfilmen seine Stimme leiht. Eine Ottifanten-Handpuppe gesellt sich dazu, und in deren Mitte taucht Otto leibhaftig auf, mit Zwergenzipfelmütze, wie man es aus seinen „7 Zwerge“-Filmen kennt. Prima Gelegenheit zum Trio-Synchron-Headbangen. Aus den Lautsprechern dröhnt „Bohemian Rhapsody“, wie überhaupt die gesamte Musikauswahl bestens zu denen passt, die mit Ottos frühen Scherzen groß geworden sind. Gerry Raffertys „Baker Street“, Queen, Sting oder Klaus Lage mit „1001 Nacht“, Hach, damals.

„Pommes de Bordell“, also Kartoffelpuffer, sollten in einer Kochshow fabriziert werden, die ansonsten völlig unnacherzählbar ist, nur so viel: Es flogen sehr viele Zutaten und Flüssigkeiten sehr weit ins Publikum.

Es geht schon Richtung Zugaben, als Otto mit den typischen martialischen Graf-Posen den Sing von Unheilig aufgreift: „Geboren um zu blödeln“, was für ein Motto für ein Leben. Und ja, er kann es noch. Ein alter Meister, ein Virtuose, der über unzählige Humorfacetten gebietet. Was für eine Erscheinung im Zeitalter der inflationären Comedians und ihrer Plattheiten.

Hilfe, ist es schon vorbei? „Ein‘ hab ich noch, ein‘ hab ich noch.“ Dänen lügen nicht, was sonst. „Wenn’s Ihnen gefallen hat: Mein Name ist Otto Waalkes. Wenn nicht: Florian Silbereisen.“ Da steht er, der 65-Jährige, provoziert immer neue Applaus-Tsunamis und saugt sie mit weit aufgerissenen Augen in sich auf, bis zu den Standing Ovations. Chapeau, Herr Waalkes, und bleiben Sie bitte gesund.

 

Veröffentlicht wurde der Text im Reutlinger General-Anzeiger vom 10. Oktober 2013 (Paywall).