Sommernacht mit Sting und Shaggy

Englishman und Jamaicaman

Altmeister Sting und Reggaeman Shaggy spielten ein Open-Air-Konzert im Schloss Salem

Oh wie schön – Altmeister Sting spielt im Sommer ein Open Air. Oh Gott, aber mit Shaggy? Das ist der, der in den 1990ern banal-obszöne Ohrwürmer wie „Boombastic“ und „Oh Carolina“ verbrochen hat – igitt, sofort das Radio ausschalten! Sein Künstlername leitet sich von einem Gossenwort für Sex her. Seine Songs klingen alle ähnlich, nach maximal nervigem Pop-Reggae. Der Volksmund weiß: „Was sagt der Reggae-Fan, wenn die Wirkung seiner letzten Tüte nachlässt? – Mach doch jemand mal die Scheiß-Musik aus!“

Also gut. Schloss Salem im Bodenseekreis ist eine Bilderbuch-Kulisse, der Sommerabend wolkenlos und zusehends pastellfarben, das Konzert am Montag komplett ausverkauft, und auf dem Gelände riecht es eher nach Fritteuse und Grill als nach süßlichem Rauch. „Lass dich drauf ein“, haben sie gesagt. „Das neue gemeinsame Album ist erstaunlich gut, du wirst Spaß haben“, haben sie gesagt. Na, dann wollmer mal.

Für manche ein harter Abend

Gegen 20.45 Uhr wird es so laut, wie es werden muss, wenn ein Weltstar eine Bühne betritt. Sting intoniert „Englishman“, Shaggy übernimmt zügig: „I’m a Jamaicaman in New York.“ So wird es die kommenden zwei Stunden weitergehen: Der bald 67-jährige Sting und der fast 50-jährige Shaggy haben offenbar keine Lust, als Jukebox ihrer alten Hits zu fungieren. Sie bringen die neuen Stücke. Und wenn sie alte spielen, dann in Versionen, an denen sie gemeinsam herumgeschraubt haben. Für Puristen und Nostalgiker ein harter Abend.

„Schon sehr reggaelastig“, seufzt die gut hergerichtete Mittfünfzigerin von vorne. „Sting kann Shaggys Lieder singen, aber nicht umgekehrt“, brummt einer von rechts. Gut erkannt, das Singen ist der Punkt: Stings Stimme ist so klar und tragend wie eh und je. Wenn er bei Shaggys alten Hits mit einsteigt, leuchten plötzlich Melodien aus dem Gebrabbel heraus. Übernimmt Shaggy einen Part bei Stings Songs, steigt primär die Gebrabbel-Quote. Der Jamaikaner hat leider Gottes eine blechig-schnarrende Stimme, einen kargen Stimmumfang, intoniert schlampig und nuschelt. Sein Singen ist oft eher Rappen, vielleicht besser so. Das beste an ihm sind die beiden aus dem Background: Eine Sängerin und ein Sänger, die immer dann Shaggys Part übernehmen, wenn der musikalische Dialog mit Sting mal schöne Tön braucht, bei „Shape of my Heart“ beispielsweise. Klar: Ein gutes Team aufzustellen ist auch eine Qualität.

Shaggys Star-Qualitäten am Montag: Stimmung machen. Sting klebt den ganzen Abend hinterm Mikro, die Hände fest am Bass. Shaggy hat die Hände frei und nutzt sie auch: „Are you ready, Saleeeem?“ Er animiert: „Dont‘ stop“, klatscht, tanzt und feiert quer über die Bühne. „Get up, get up, get up!“ Und tatsächlich, Sitzplätze werden je länger je weniger genutzt.

Klar politisch

Dass die beiden Herren offenkundig eine schöne Männerfreundschaft pflegen, wird spürbar. Ihre Freude an der Musik steckt an. Beide haben immer schon gern mit Stilen und Kulturen experimentiert, schon Stings einstige Band The Police hatte mehr als eine Prise Reggae im Beat. Zu zweit macht es ihnen wohl noch mehr Spaß. Und bei „Dreaming in the U.S.A.“ vom neuen Album wird es klar politisch – we are all brothers and sisters.

Crossover bis zum Aua

Die alten Hits haben natürlich die meisten Fans. Da springen die Leute auf, singen mit, klatschen, winken. Gilt für die Sachen von Sting und The Police – aber auch für Shaggy. Die beiden zelebrieren es richtiggehend, alte Hits zu vermählen. „Strength of a Woman“ mit „So lonely“ geht. „Walking on the Moon“ mit Bob Marleys „Get up, stand up“? Och joh, warum nicht. Garstig wird der Schnitt, als „Roxanne“ kippt und plötzlich zu „Boombastic“ mutiert. Aua.

Das Ende wird maximal versöhnlich mit den so grundverschiedenen Herren, Mister Kerzengerade und Mister Unterleibsbewegung. „Every Breath you take“, da kann man auch einfach nichts falsch machen. Fazit: alleroberste Liga, spannende Experimente, keine Minute Langeweile – aber jetzt bitte auch kein Reggae mehr für die nächsten fünf bis zehn Jahre.

Veröffentlich wurde der Text am 25. Juli 2018 im Reutlinger General-Anzeiger (Paywall)

 

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