Gutes Personal – so wichtig
Nächsten Januar wird er 80, der Rod Stewart. Äh, sorry: Sir Rod Stewart (seit dem Ritterschlag anno 2016). Aber solange die Sieben vorne steht, will er es nochmal wissen. „One Last Time“ heißt seine Tournee, die ihn durch mehrere Kontinente führt und am Mittwochabend in die Stuttgarter Schleyerhalle. Knappe zwei Stunden dreht sich das Hitkarussell.
19.58 Uhr rein, 21.55 Uhr raus: Das ist solide. Altersteilzeit scheint es in dieser Branche nicht zu geben, ein paar Vergünstigungen aber wohl schon. Alle paar Songs verschwindet Stewart für einige Minuten, um dann neu gewandet wieder dazuzustoßen. Vielleicht darf er hinter der Bühne auch kurz mal chillen.
Tatsächlich ist alles noch da: die eigentümliche Reibeisen-Stimme, die raspelt wie eh und je. Andere ältere Herrschaften hat man schon tricksen und transponieren hören, Höhen weg, Kurzatmigkeit, davon bei Rod Stewart keine Spur. Noch da sind auch die Stehhaare, die schmalen Hüften, das weit geöffnete Hemd. Sogar allerhand kecke Tanzeinlagen. „Auf jeden Fall fitter als meine Schwiegermutter“, kommentiert die Begleitung anerkennend. Ja, das Alter war offenbar bisher gnädig mit Sir Rod.
Mehr als 20 Songs bringt der Altmeister in seinen zwei Stuttgarter Stunden unter. Das klappt mathematisch prima, früher waren die Songs ja kürzer. „Maggie May“ ist dabei, „Baby Jane“, „Young Turks“ und natürlich „Sailing“. Ein skrupellos schwelgender Greatest-Hits-Mix. Mit vielen Cover-Versionen, die haben bei ihm Tradition, und er kann’s halt auch. „The first Cut is the deepest“, „Downtown Train“, wie schön. Gänsehaut bei „Have I told you lately“. Eine echte Perle war „I’d rather go blind“ von Blues-Ikone Etta James. Neuere Songs gäbe es zwar auch im Hause Stewart, aber wer braucht die schon an so einem Abend?
Zurück zum Disco-Fox
Es ist eine Zeitreise auf Knopfdruck. Genau dafür sind die meisten ja auch da. Tausende Fans werden kollektiv gebeamt: raus aus der wohlsituierten Lebensmitte, in der man sich Ticket-Preise zwischen 90 und 400 Euro leisten kann. Und mittenrein in die 70er und 80er. Zurück zu Kassettenrekorder, Disco-Fox, Fahrstunden, Zeltlager, Haarspray-Exzessen und anderen Unvergesslichkeiten.
Bühne, Licht und Looks tragen dazu redlich bei. Da hat jemand wirklich geschmackvoll mit Retro-Elementen gespielt, mit Showtreppen, Disco-Kugeln und Negativ-Streifen aus der analogen Fotografie. Genüsslich wird beim Robert-Palmer-Cover „Addicted to Love“ aus dem damaligen Palmer-Video zitiert. Rod Stewart dekoriert sich dafür mit musikalischen Damen, die untenrum ziemlich wenig tragen (genau wie seinerzeit bei Palmer). Bei dieser Frauenbein-Ausstellung bleibt es für den Rest des Abends, auch nach Kostümwechseln. Ist das retro oder ironisch, dieses Zelebrieren der leicht bekleideten Frau als Statussymbol? Jedenfalls können sie was, die Musikerinnen. Die Musiker auch. Gutes Personal – so wichtig. Dann kann man als Chef auch ein paar Pausen machen.
Bloß keine Angst vor Kitsch
Sir Rods schottische Heimaterde grüßt immer wieder mit Dudelsackklängen. Es wird ein bisschen keltisch gefiedelt und geriverdanced. Angst vor Kitsch wäre unangebracht. Die Harfe gibt alles bei „The first Cut is the deepest“, und das Publikum seufzt aus vielen tausend Kehlen „Baby, I know“. Wer noch nicht berührt oder gerührt ist, den erwischt es vielleicht, wenn auf der Leinwand verstorbene Musiker eingeblendet werden. Klar: „One Last Time“ könnte auch ein Abschiedsbesuch sein. Drauf wetten sollte man nicht. Das neue Swing-Album von Rod Stewart ist schon auf dem Markt, lauter flotte Nummern mit viel Lebensfreude. Konzerte dazu hat Sir Rod auch schon angekündigt. Haste Ye Back!
Veröffentlicht wurde der Text am 17. Mai 2024 im Reutlinger General-Anzeiger (Paywall).