Rainald Grebe macht Reha auf der Bühne

Drei Stunden zum Ausleben

Vier Männer und die Vaskulitis: Wenn Rainald Grebe mit seiner Band die Bühne betritt, wie am Dienstag in Stuttgart, dann ist die Krankheit immer dabei. Vaskulitis ist eine Autoimmunkrankheit, die zu Schlaganfällen führt. Vielen Schlaganfällen: Allein in den letzten zwei Jahren hatte Grebe elf, 2017 war der erste. Der mehrfach preisgekrönte Kabarettist und Musiker ist jüngst 52 geworden. Und wenn er nicht gerade im Krankenhaus oder in der Reha ist, wenn er keinen Rollator braucht und halbwegs klar sprechen kann, dann will er sein Leben wiederhaben. Seinen Alltag, die Bühne, das Publikum. Rei in der Tube, finstere Bühneneingänge und halbe Semmeln mit wellig gewordenem Käse. Weil Grebe Grebe ist, gibt es darüber ein Lied.

Das Stuttgarter Publikum im fast ausverkauften Theaterhaus-T2 liebte ihm am Dienstag spürbar entgegen. Und ahnte einen Abend lang, bis nach 23 Uhr, wie es sich wohl anfühlt, wenn die Vaskulitis immer da ist.

Wer nicht spürte, konnte hören: Über Künstler, die bei bester Gesundheit ihre Rente herbeisehnen, schrieb Grebe ein Spottliedchen. Kindheits-Erinnerungs-Songs, die man aus den Grebe-Programmen kennt, klingen heute kämpferisch: „Ich will mich ausleben“, und das eben nicht nur bis zum sicheren Ende der Straße, liebe Mama.

Der Abend begann und endete mit dem Tod. Los ging es mit einem Moll-Akkord, Bühnennebel und der Fontane-Ballade „John Maynard“ mit dem hypnotischen „Noch 15 Minuten bis Buffalo!“ und dem tränenreichen Begräbnis. Am Ende des Programms kam Grebes Lied über den Tod, der in der Kantine Menü 2 isst, beim Tanzen sacht mit der Hüfte wippt und „see you soon“ sagt.

Sie sind noch da und funkeln, diese Dinger, die nur von Rainald Grebe kommen können. Ein Mitmach-Lied zum Duschgel Grapefruit-Basilikum. Ein Song über Bauernregeln, die er verballhornt, sich reinsteigert bis zur Kakophonie. Polyester-Kimono und Haarteil. Als Foto-Serien zeigte er diesmal kalte Buffets und Rollatoren aller Preisklassen plus ein Sammelsurium grauenvoller Hotelflur-Teppichböden. Zettel mit Texten pflasterten die Bühne wie eh und je (nur dass er die Zettelwirtschaft jetzt offenkundig braucht, abliest, nach Aussetzern wieder hineinfindet, bevor er ein Blatt hinter sich schmeißt). Statt Winke-Katze hatte er Geschirrtücher als Deko am Piano. Und ja, er spielt wieder, zumindest ein bisschen.

Nicht immer verstand man ihn. Nicht immer war der Gesang wirklich gesungen. Nicht jede seiner Gesten war grazil. Man kann diese Krankheit nicht vergessen.

Aber man kann mit ihm Reha machen. So nennt er es, wenn er alte Songs aufwärmt. „Brandenburg“ und „Thüringen“ waren nicht dabei. Aber „Prenzlauer Berg“. „Die 90er“ und auch das „20. Jahrhundert“. Am Ende, nach den Zugaben, die ihm sein Arzt eigentlich verboten hat, sagte er: „Gute Nacht. Auf Wiedersehen. Bye-bye.“ Wenn man es sich aussuchen könnte: Wiedersehen, bitte.

Veröffentlicht wurde der Text am 20. April 2023 im Reutlinger General-Anzeiger (nur Print).

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